In 2004 wurde in dem schweizerischen Engelberg über das Klimaproblem und den Umgang damit diskutiert. Heute scheint diese Diskussion in einer Zeit, als der Katastrophendiskurs Gang und Gäbe war und der Optimismus für einer baldigen globale, wirksame Klimapolitik und Hinwendung zur Nachhaltigkeit in allen Bereichen des Lebens ungebrochen war, etwas fremd.
Was ist seit dem geschehen? Der IPCC Bericht Nummer 4 erschien in 2007; es gab den Friedensnobelpreis für IPCC und Al Gore, den Stern-Bericht, wonach mit massiven wirtschaftlichen Schäden im Falle eines Scheiterns einer wirksamen Klimapolitik (2 Grad Ziel) zu rechnen sei, den Blockbuster "The Day After Tomorrow" und den Oscar für Gores "Inconvenient Truth". Die große Internationale Klimakonferenz COP 15 wurde 2009 in Kopenhagen als "jetzt oder zu spät" inszeniert und scheiterte grandios. Weitere folgende COPs wurden als enttäuschend und ergebnislos von Medien und Öffentlichkeit wahrgenommen.
Die Veröffentlichung in 2009 von vertraulicher E-Mail-Korrespondenz (Climategate) zwischen führenden, signifikant am IPCC Prozeß beteiligten Wissenschaftlern war eine Zäsur. Climategate offenbarte zwar keinen Komplott, wie es der Wunschvorstellung vieler Skeptiker entsprochen hätte, aber doch, daß die Herren (Frauen waren kaum dabei) doch nur Menschen sind mit Tricksereien, Wagenburgmentalitäten, Besserwissen und dem Wunsch, etwas für die eigene Karriere zu bewirken und zudem noch die Welt zu verbessern. Plötzlich war für jedermann sichtbar, daß es eben doch nur oftmals kleinkarierte Karrieristin und Egozentriker waren, die da am Werk waren, und nicht moralisch höherwertige Hüter des Guten und des Wahren. Die bis dahin unangefochtene, wahrgenommene Autorität der Klimawissenschaft, der Welt zu sagen, wo es längs geht, hatte ihren Knacks weg. Die Klimawissenschaft als globale politische Kraft hat sich von Climategate nicht wirklich erholt. Das ist gut, denn sie wurde von dem seinerzeit zelebrierten Wahrheitsanspruch-Anspruch ohnehin überfordert und ihr innewohnendes Potential von diesem Aktivismus überrollt.
Die folgenden COP-Konferenzen brachten Fortschritt im Details, aber der von vielen massiv eingeforderte globale Plan nahm nicht Gestalt an. Die Klimakastrophenrhetorik verschwand weitgehend, und die Nuklearkatastrophe von Fukushima machte deutlich, daß die Emission von CO2 vielleicht doch nicht das alles überragend Bedrohende war; jedenfalls wurden die Atomkraftwerke in Deutschland zugunsten von Kohle- und Gaskraftwerken abgeschaltet.
Vor kurzem erschien der fünfte Sachstandbericht des IPCC, der die grundsätzlichen geophysikalischen Befunde der früheren Berichte bestätigte. Der Ernst der Lage wurde erneut betont, aber von der Dramatik eines Herrn Stern war man weit entfernt. Statt ausschließlich auf Minderung der Emission zu setzen, sah man nun ein, daß der menschgemachte Klimawandel doch nicht ganz vermeidbar sei, und daß man dem nicht vermiedenen Teil mit Anpassung begegnet werden müsse. Übrigens eine Einsicht, die ich in meinem SPIEGEL-Interview schon in 2003 skizziert habe - dafür habe ich seinerzeit allerhand Prügel wegen Defätismus bezogen. 2013 gab es noch ein Interview mit mir im SPIEGEL, aber da hat es niemanden mehr aufgeregt.
Die Lage ist nicht mehr so wie in Engelberg 2004. Die Wissenschaft hat sich in ihren Kernaussagen weiter stabilisiert, die damalige Blüte der Klimakatastrophenrhetorik ist verwelkt und der damals propagierte Lösungsimperativ - Emissionen mindern, soweit nur irgend möglich - hat sich verloren.
Während die Wissenschaft inhaltlich in eine mehr normale Phase eingetreten ist, sieht sie sich postnormal eingeklammert durch politische Kräfte, die versuchen, ihre politischen Ziele durch Verweis auf angeblich wissenschaftliche Wahrheiten durchzusetzen. Skeptiker versuchen mit dem Hinweis auf Unsicherheiten im wissenschaftlichen Konstrukt vom treibhausgasbedingten Klimawandel Klimaschutzpolitik und Energiewende zu Fall zu bringen, wobei tatsächlich die Sorge vor umfassender Regulierung und Bevormundung im Vordergrund steht, während Alarmisten verstärkt mit Extremereignissen argumentieren, die samt und sonder als Folge des menschgemachten Klimawandels gedeutet werden. Beiden Gruppen ist gemein, daß sie propagieren, aus wissenschaftlicher Einsicht folge notwendige Politik. Logischerweise ist daher der Kampf um die "richtige Politik" in den wissenschaftlichen Seminaren und der Berichterstattung darüber zu führen, und nicht etwa als Frage der demokratischen Willensbildungen in Konkurrenz und in Gleichzeitigkeit mit anderen Themen zu verhandeln. Daß diese Linie in Anbetracht von Entwicklungszielen in der Dritten Welt und sozialer Benachteiligung durch höhere Energiepreise sowie Wettbewerbsverzerrungen nicht zu halten ist, wird immer deutlicher, und das rechthaberische Gezänk an den Rändern marginalisiert sich zusehends selbst.
Was zunächst, insbesondere zum COP-Treffen in 2009 vor fünf Jahren, als Durchmarsch der Alarmisten und Befürworter einer strikten Top-down Klimaschutzpolitik aussah, wandelte sich zu einem Zustand rhetorischer Radikalität bei gleichzeitiger Unfähigkeit, eine wirksame Klimaschutzpolitik politisch tatsächlich durchzusetzen. Die Emissionen steigen weiter an, auch wenn der Temperaturanstieg langsamer als erwartet ist. Im Zuge dieses Wandels sah man gleichzeitig eine verstärktes bottom-up Bemühen um Anpassung und Emissionsminderung im Regionalen und Lokalen. Insofern hat die Katastrophenrhetorik durchaus Erfolg gehabt, nämlich daß das Thema "Klimawandel" allgegenwärtig ist, in viele praktische Entscheidungen inkorporiert wird und zu vielfältigen Modernisierungen und Innovationen führt, aber eben nicht als großer Generalplan, der die Gesellschaften transformiert, sondern als demokratische Dynamik, die regional und kulturspezifisch getragen wird. In unserem Buch "Die Klimafalle" haben Werner Krauss und ich den Fall von Nordfriesland diesbezüglich diskutiert.
Was erwarte ich für die Zukunft? Auf der wissenschaftlichen Seite: Daß der Temperaturanstieg - der bodennahen Luft- wieder zunehmen wird, daß klarer wird, mit welchem Meeresspiegelanstieg zu rechnen ist, daß die Möglichkeiten anderen Erklärungen für die klimatischen Veränderungen (Sonne) besser ausgeleuchtet werden und sich schlußendlich als nicht konkurrenzfähig erweisen. Daß die Klimamodelle besser werden, die verschiedenen Faktoren, die das Klima beeinflussen, zu beschreiben. Daß die Klimastatistik besser wird, die Rolle diese Faktoren im gegenwärtigen und zukünftigen globalen und regionalen Wandel zu separieren. Daß die Diskussion ruhiger geführt wird und es der Mitte der Klimawissenschaft gelingt, die Stimmen der Extremisten, also der Skeptiker und Alarmisten, zu beruhigen.
Auf der politischen Seite: Daß formal am 2 Grad Ziel festgehalten wird unter Aufweichung der Rhetorik. Daß das Klimathema als Megathema durch ein oder mehrere andere Thema abgelöst wird - da sind die Revitalisierung des alten Ost-West-Konflikts oder klassische Umweltthemen im Zusammenhang mit Kernenergie und Fracking denkbar, aber auch das, was man früher Nord-Süd-Konflikt nannte, Finanzkrise und neue Überraschungen, wie neuartige Epidemien.
Das Klimathema bleibt in dieser Erwartung relevant und gegenwärtig, verliert aber ihre Aktualität im Angesicht einer andauernden dynamischen Modernisierung, in deren Gefolge die Emissionsfrage und die Nutzung fossiler Energieträger sich lautlos erledigen. Vermutlich wird dabei doch das 2-Grad Ziel gerissen, aber es gelingt die Steigerungen zu begrenzen, so daß mit den einhergehenden Folgen umgegangen werden kann.
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